Radio zum Hören und Sehen

 

Es gibt Programme bei Jahreskonzerten, die sind schwer, manche sind höllisch schwer und einige sogar sauschwer. Und es gibt das Programm, das die Musikkapelle Dirlewang spielte ... so viel nur vorneweg.

Die "Radio-Show" in der Turnhalle unter dem Motto "Blech 'n' Pop" war ein Event, ein musikalisches Happening, das den Rahmen eines konventionellen Jahreskonzerts in jeder Hinsicht sprengte. Weltbekannte Popsongs und Schlager, thematisch aneinandergereiht, begleitet von Power-Point-Bildern der jeweiligen Originalinterpreten: Es war schon eher eine TV-Show als eine Rundfunksendung oder war es "Radio zum Hören und Sehen".

 

Auch Schmusesongs sind mit einer Blaskapelle möglich

 

Kann man Phil Collins Schmuse-Hit "Against all odds" mit einer Blaskapelle spielen? Man kann, vor allem wenn Manuel Wolf (Sachsenried) ein herzergreifendes Saxophon-Solo beisteuert. Kann man Abbas "Dancing Queen" mit den vertracktesten Harmoniewechseln in der Popgeschichte mit einem Blasorchester interpretieren? Man kann, wenn Ralf Weiner ein Mördersolo auf der Trompete hinlegt. Aber was ist mit einem Udo- Jürgens-Medley?

Eigentlich kann das nicht funktionieren, denn schließlich ist der österreichische Chansonnier am Klavier zu Hause. Aber in Dirlewang gings, denn dort setzt sich Dirigent Klaus-Jürgen Herrmannsdörfer einfach selbst an den Flügel, den hilfsbereite Geister vor Konzertbeginn auf die Bühne transportiert haben, spielt nicht nur, sondern singt auch gleich noch, dass er "noch niemals in New York" war. Wer braucht auch New York und die Radio City Music Hall, wenn es in Dirlewang eine Turnhalle gibt.

Noch ein paar Highlights gefällig: Ein rhythmusbetontes Medley mit Melodien von Paul Simon, das bei "Cecilia" den vollen Einsatz der Percussiontruppe forderte. Ein federnd-swingendes "Fever" mit dem Herz des Südens und dem Geist von Memphis. Ein Rock-Klassiker "Africa", an dem Toto-Mastermind Steve Lukather seine Freude gehabt hätte. John Lennons Friedenshymne "Imagine" mit Klaus Herrmannsdörfer als Saxophon-Solist. Ein umfangreicher James-Last-Polkablock im unverkennbaren Sound des wohl erfolgreichsten deutschen Musikers.

Ein Tipp am Rande, wenn die Musikkapelle Dirlewang das nächste Mal auf Reisen geht, wie wäre es mit Florida als Ziel und einem Besuch bei James Last, der in dem Sonnenstaat lebt. Wenn er seine Titel so frisch gespielt hört wie am Jahreskonzert-Abend in Dirlewang, wer weiß, ob es ihn nicht noch einmal richtig packt und er sein Rentnerleben unterbricht, um auf Tour zu gehen? Die Fans wären dankbar dafür.

 

Die "Sunnies" hatten einen Auftritt

 

Ah ja, auch der Chor "Sunnies" war beim Konzert wieder dabei. Das hat Tradition in Dirlewang. Bei "Music", dem Allzeit-Breitwand-Epos von John Miles, bekannten sie ihre Liebe zur Musik, bei der bemerkenswerten Klaus-Herrmannsdörfer-Eigenkomposition "Ein Lied verbindet alle Menschen" erzeugten sie Gänsehautgefühle mit weihnachtlichen Gedanken, die nicht nur zum Fest ihre Gültigkeit haben sollten. Was bleibt am Schluss: Es gibt höllisch schwere Programme, aber darum ging es nicht in Dirlewang. Ein Stück nur um seiner Schwierigkeiten und um des Nachweises willen, es technisch zu bewältigen, zu spielen, ist schließlich nicht Sinn der Sache. Aber ein Konzert abzuliefern, bei dem am Schluss ein bis zum Rand voller Saal absolut begeistert ist und Jung und Alt im Publikum Bravo rufen - darum geht es. Und dafür wagt sich jeder Musiker gern in die Grenzbereiche seines Könnens.

 

Harry Klofat   Mindelheimer Zeitung vom 31. Dezember 2007